Geistphilosophisches Privatissimum
Hans Imhoff
Hans Imhoff
Asozialistik
Dissertation
Abyssos
Logik des Plans
Republik. Blüte
Poiesis
Krönung
Herabstieg
Echo
Geliebte Goethes

Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Kap. 11
Kap. 12
Kap. 13
Kap. 14
Kap. 15
Kap. 16
Kap. 17
Kap. 18
Kap. 19
Kap. 20
Kap. 21
Kap. 22

POIESIS
Verfassungsfragen

 

20

Mucrone res agitur, ubi ad triarios redit (Sinn: Wenn es zum Äußersten kommt, wird die Sache mit der Schärfe des Schwertes entschieden). In den sogenannten Tagebüchern des Joseph Goebbels findet man die Stelle, lange vor Herannahen der Befreier sei der Statthalter Frankfurts geflohen, die Abordnungen der Bürgerschaft der Mainmetropole jedoch den Amerikanern enthusiastisch entgegengezogen - eine Art Vaticinium ex eventu des Fälschers, der wohl die spätere Rolle der Stadt als des Mittelpunktes der amerikanischen Hemisphäre nicht unterdrücken wollte. Eine andere Stelle ist mir erinnerlich, wo Goebbels angelsächsischer Rassismus unterschoben wird, als er angesichts der Flüchtlingsströme notiert, die Invasionstruppen brächten mehr germanisches Blut von Westen nach Deutschland herein als die Volksdeutschen aus dem slawischen Osten. Doch die Nationalsozialisten dachten ganz anders: bei aller Liebe zu den germanischen Angelsachsen. Ihnen war Volk nicht Rasse , und es ging ihnen nicht um die nordische Rasse schlechthin, sondern um das »deutsch-nordische Antlitz«, wie Egon Freiherr von Eickstedt in seinem Buch »Die rassischen Grundlagen des deutschen Volkes«, 1934, schrieb, das »blutsmäßig geeinte ganze Volk«. Insofern ist die Fälschung für uns von Interesse, da sie diese Differenz tilgt, um den deutschen Rassismus (der ein englisch-französisch-deutscher ist; vgl. Gobineau) der amerikanischen Herrenrassenideologie kompatibel zu machen. Es handelt sich hier nicht um seine Ausbeutung, sondern um Vereinbarkeit. So pervers es nämlich ist, so hat sich - insbesondere durch seine Stoßrichtung gegen die Sowjetunion - die deutsche Verfassungswirklichkeit als die für den Orbis terrarum entscheidende durch das nationalsozialistische Regime in der abendländischen Welt, vor allem aber - entscheidendes Novum - bei der Führung der Vereinigten Staaten von Nordamerika, doch de facto die größte Anerkennung erworben, und dem verfehltesten Auswuchs des Reiches gelingt nach seiner militärischen und politischen Niederwerfung die ideologische Unterwerfung der alten und modernen westlichen Nationalstaaten, nachdem diese sich alles in allem seit elfhundert Jahren gegen die deutsche Hegemonie erfolgreich zur Wehr gesetzt hatten (während die übrige Welt sich über den Marxismus einem anderen Auswuchs der Deutschen, ihrer Philosophie, schon zuvor zu beugen begonnen hatte). Während des Vietnamkrieges erschraken wir hier im alten Germanien - in Frankfurt, Heidelberg, Tübingen, Mainz, Göttingen - über die Popularität Hitlers, als wir durch die internationale Presse davon Kenntnis erhielten, einer der damaligen amerikanischen Präsidenten beklage sich darüber, daß die amerikanische Jugend nicht hinter diesem Krieg stehe, wie die deutsche bis zum Ende hinter Hitler gestanden habe; in einzelnen Offizierskursen der Nation, die einen Kreuzzug gegen Hitler-Deutschland geführt hatte, studiere man Hitlers Buch »Mein Kampf«; vom Chef der südvietnamesischen Marionettenregierung von der Amerikaner Gnaden, General Ky, wurde das geflügelte Wort überliefert, er bewundere Adolf Hitler. Zur gleichen Zeit begann eine Flut von gereinigter Literatur über Hitler mit Förderung der angelsächsischen Sieger in der Bundesrepublik Deutschland zu erscheinen, in welcher er unterschwellig als Retter des Abendlandes vor der bolschewistischen Weltherrschaft gefeiert und zum Märtyrer stilisiert wurde; was nur logisch ist, denn diese Suggestion durch die Westmächte, Deutschland sei zum Kreuzzug gegen den Bolschewismus berufen, ermöglichte Hitlers Aufstieg und den Zweiten Weltkrieg. Seitdem ist die Popularität des selbsternannten größten Feldherrn aller Zeiten (»Gröfaz«) ständig gestiegen; US -amerikanische Werbepäpste schätzen ihn als den Finder der großartigsten Mittel bei leider falschen Zielen. Nichts ist für den klugen Mann erbaulicher, als wenn ihm die Proben seiner Spekulation bestätigend in den Schoß fallen, wie dem heiligen Franz von Assisi die nassen Regentropfen, in denen er sonst bloß im Trockenen Gott angebetet hatte. Wenigstens erreicht uns zur gleichen Zeit, dem gegenwärtigen Juli 1984, da der amerikanische Besatzungsgeneral Drudik (vielleicht ist er als Nachkomme eines Druiden oder einer Drude vergleichsweise ein Demokrat) den Nürnbergern das ehemalige, jetzt beschlagnahmte Reichsparteitagsgelände für ihr jährliches Autorennen versagt und scheinbar um der guten Freundschaft willen nach Beschwerden der Nürnberger an Washington (Daily Telegraph, London: Die Nürnberger haben die Schlacht gewonnen!) nunmehr versetzt werden soll, die Nachricht, die Heroisierung der konservativ-reaktionären Verschwörer des 20. Juli 1944 als Demokraten habe man nach Ansicht deutscher Historiker zur Rechtfertigung der Einrichtung (eigener) demokratischer Verhältnisse nach dem Kriege gebraucht, also um kollektiver Bestrafung und unmittelbarer militärischer Fremdregierung zu entgehen. Diese deutschen Köpfe besitzen einen eigenartigen Witz; in ganz anderem Sinne nämlich diente der Mythos vom Widerstand des 20. Juli 1944 der Rechtfertigung. Der neue Zustand einer Demokratie wäre dem deutschen Bewußtsein ganz unerträglich gewesen, jener Mythos schuf die Vermittlung zum verlorenen tausendjährigen Reich, indem man sich sagte: Wenn schon die eigenen Generäle sich gegen Hitler erhoben, dann ist es auch nicht mehr gar so schlimm, daß uns Amerikaner und Engländer, die sich von den Russen haben einwickeln lassen, eine Demokratie oktroyieren. Die Deutschen bedurften also keines Grundes der Rechtfertigung vor den Amerikanern, sondern im Gegenteil, sie mußten versuchen, die Fehler der Amerikaner vor sich zu rechtfertigen, um vor sich ihre neue Loyalität gegen sie rechtfertigen zu können. Das sind difficile Dinge, und nie ist es ganz ohne Lächeln, aus dem Eingeweide der Völker zu weissagen. Dem Schaufeln des eigenen Grabes aber würde es gleichkommen, würde man also zu leugnen versuchen, daß die in der mitteleuropäischen Stadtkultur auf dem Boden der fränkischen Komturalverfassung als ihre bisher späteste Blüte gediehene nationalsozialistische Ideologie gerade nach der Zurückdrängung der faschistisch-legalistischen Diktatur und deren Ersetzung durch liberal- bis autoritärdemokratische Formen nicht nur in der Welt Karriere gemacht hat, sondern auch in dem Land ihrer Schöpfer und bedeutendsten Vertreter, im ehemaligen Reich, noch immer den weitaus überwiegenden Teil zumindest der nicht mehr jungen Bevölkerung gefangen hält. Was Heidegger während des Nationalsozialismus in seiner Nietzsche-Vorlesung sagte, wir seien weit entfernt von einem wahrhaft geschichtlichen Bezug zu unserer Geschichte, gilt heute noch ebenso, ja mehr denn je. Es ist hier noch nicht der Ort, zu beurteilen, ob der aus derselben Reichsverfassung - ihrer Kultur, ihrer Philosophie und von den besten Menschen getragen - hervorgegangene heutige Weltkommunismus als der einzige entschiedene Gegner jener Ideologie sich in einer überzeugenden Alternative bereits etablieren konnte. Immerhin darf Schillers Freiheitsbegriff als Pate der bolschewistischen Oktoberrevolution gelten, was hoffen läßt. Entscheidend ist jedoch ein Drittes: Welcher realistische, den Notwendigkeiten des Zeitalters gerecht werdende Verfassungsentwurf sich aus den Spitzen des deutsch-europäischen Geistes hervorzutreiben vermag. Man glaube sich ja nicht ungestraft täuschen zu dürfen. Der Berg kommt zum Propheten, Gott bietet die Thora an, und dort, wo die spekulative Philosophie zu Hause ist und der höchste poetische Gedanke gedacht wird, entsteht auch die durchschlagendste Verfassung. Es ist ja ein fataler Irrtum, zu glauben, die Anstrengung eines Volkes bringe große Intelligenzen hervor; es ist vielmehr der Fall, daß sich um Heroen Völker bilden, um eine Jahrtausendvernunft eine neue Weltordnung. Schwierigkeiten dürfen uns dabei nicht schrecken, auch Herakles, späterer Retter des Olymp und des Menschen vor den Ausgeburten einer erbosten Erde, konnte nicht umhin, seinen alten Lehrer Linos wegen dessen Strenge zu erschlagen.