Geistphilosophisches Privatissimum
Hans Imhoff
Hans Imhoff
Asozialistik
Dissertation
Abyssos
Logik des Plans
Republik. Blüte
Poiesis
Krönung
Herabstieg
Echo
Geliebte Goethes

Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Kap. 11
Kap. 12
Kap. 13
Kap. 14
Kap. 15
Kap. 16
Kap. 17
Kap. 18
Kap. 19
Kap. 20
Kap. 21
Kap. 22

POIESIS
Verfassungsfragen

 

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So nennt uns den! Anonymus de sublimitate. Der kluge Mann wird sich nicht wundern, wenn er von so verschiedener Seite wie dem Parteivorsitzenden der Deutschen Demokratischen Republik Honecker und dem Gründer des modernen Staates Israel Goldmann in seiner Ansicht bestätigt wird, daß ein sozialistisches Gesamtdeutschland der geschichtlichen Logik nicht widerspräche, dasselbe dann aber doch nicht zustande kommt. Wenn meine Mutter mich früher wusch, nannte sie mich ihren Esau; ich bin noch immer nicht am Ende mit der Ausdeutung. Rosenzweig überliefert, der deutsch-jüdische Philosoph Hermann Cohen habe, als die Rede auf den Zionismus kam, ihm gedroht und, seinen riesigen Kopf nahe an seinem Ohr, donnernd geflüstert: Ich will Ihnen etwas sagen: Die Kerls wollen glücklich sein! Die Republikanische Blüte war meine Schlacht bei Kolin. Hier verlor Friedrich der Große am 18. Juni 1757 die Chance, Wien zu bezwingen. Gleich darauf, Anfang November, siegte er wieder, und seine Popularität war derart, daß in Frankreich, das mit seiner Gegnerin Maria Theresia verbündet und dessen Armee gerade von ihm geschlagen worden war, niemand

wagte, gegen ihn Partei zu ergreifen, bei Strafe der Lächerlichmachung. In England, wo man ihn zum Narren hielt, feierte man seinen Geburtstag mit mehr Enthusiasmus als den des englischen Königs. In seiner Verlängerung führte das zur Besiegung Frankreichs durch Hitler nach den Plänen Mansteins, dessen Vorfahre notorisch Friedrichs Befehle aus Übereifer übertrat. Denn wir brauchen nicht zu verkennen, daß Friedrich, der vor der Prager Schlacht dem englischen Gesandten verriet, die Schlacht von Pharsalus zwischen dem Hause Österreich und dem Hause Brandenburg müsse geschlagen werden, beabsichtigte, das Reich neu zu begründen und auf die Basis einer auf den Monarchen vereidigten unschlagbaren Streitmacht zu stellen. Maria Theresia, nachdem Friedrich das mißlungen war, dankte dem Feldherrn der österreichischen Armee ganz in diesem Sinne. Mit der Mentalität eines calvinistischen Condottiere stand er mit seinen Plänen in der Mitte zwischen Kaiser Heinrich dem Fünften und Bonaparte. Tu regere imperio populos Romane memento - haec tibi erunt artes - pacique imponere morem, parcere subiectis, et debellare superbos: Diese von Vergil so benannte Aufgabe sollte wieder wahrgenommen werden. Nach Auffassung der griechischen Künstler wurden die Göttersöhne mit Honig aufgezogen. Michelangelos Aurora. Es wird keiner behaupten wollen, daß die in Reims oder die in Westminster gekrönten Häupter eher dazu auserkoren gewesen wären als Friedrich, die Welt neu zu ordnen, aber man darf doch sehen, daß an allen nicht genug daran war. Friedrichs berühmte schiefe Schlachtordnung, zeigend, welch überschaubar-kleinplastischen Geistes Züge die neue Ordnung der »verwickelten Maschine« Staat tragen sollte, bestand denn auch lediglich in dem Kunstgriff, einem Koloß ein Bein zu brechen und ihm die Stützen durch Reiterattacken wegzureißen, so daß er durch sein eigenes Gewicht zu Boden stürzen mußte. Damit ist das Alte aber noch nicht durch einen jungen Organismus ersetzt; bezeichnenderweise standen der Armee des Preußen durch alle Kriege hindurch immer wieder wenigstens 90 000 feindliche Soldaten gegenüber, sooft er sie besiegt haben mochte. So verbat er sich denn auch, mit Alexander oder Caesar verglichen zu werden, diese Namen waren seinen Ohren zu schmerzhaft zu hören. Wir unsererseits vermögen dem gebildeten Erdteil nur schwer in seinem Jubel und der Verehrung eines Mannes zu folgen, dessen Aufführung nicht des Närrischen entbehrt. Der gesicherte Schutz eines Staates vor äußeren Feinden erschien zwar noch Wilhelm von Humboldt als Bedingung für die Stärke einer gebildeten Nation; wir Erben des Dritten oder Tausendjährigen Reiches deutscher Nation indessen haben die Gelegenheit, sowohl Bildung als auch Sozietät und Staat im Menschheitsmaßstab neu zu überdenken, zumal wir immerhin von den Vätern des Vermächtnisses gewürdigt wurden, daß mit dem letzten, ihrem Weltkriege den Heldenkriegen der menschlichen Art ein für allemal ein Ende gesetzt worden sei. Besser als Friedrich der Große bin ich jetzt schon, nur meine Mannschaft kann sich nicht mit seiner vergleichen. Zunächst allerdings bin ich dazu da festzuhalten, daß die Maßstäbe Friedrichs bis heutzutage oberste Weltgeltung besitzen. Die von seinem Vater geschaffene vernünftige Subordination mit dem Anspruch eines Weltimperiums des Dienstes und der Wohlfahrt ist die Substanz des nordamerikanischen wie des sowjetischen Reiches. Noch - noch ist es so. Drei Hauptgründe machen neue oder zusätzliche Konzeptionen nötig. In den Überlegungen Friedrichs fehlt der Blick für die Klassenkämpfe des Industriezeitalters; durch die Katastrophe des österreichisch -deutschen Nationalsozialismus ist vorläufig jede Chance für ein Weltgleichgewicht verloren; und schließlich scheint es uns nötig, nunmehr den Geist zur Republik zu machen, nachdem es doch den Deutschen gelang, in dem Interregnum zwischen dem Mißerfolg Friedrichs 1757 und dem Mißerfolg von Frankfurt 1848, ihre Genii den Zenit des bisherigen Menschengeschlechts überschreiten zu lassen, was noch gar nicht genutzt wurde. Die deutsche Jugend aber treibt zusätzlich die Notwendigkeit, mit sich darüber ins klare zu kommen, was an den Deutschen und ihrer Geschichte festzuhalten sei, und womit man sich möglichst nicht gemein mache. Ohne glühende Verehrung seines Volkes, so lautet unsere Einsicht, ist die geschichtliche Existenz von Menschen noch nicht möglich; aber die Definition, was unser Volk sei, bereitet uns, die wir in vier Jahrzehnten uns als vier verschiedene Völker zu betrachten gehalten waren, keine geringen Schwierigkeiten. Das darzustellen habe ich mir vorgenommen.