Geistphilosophisches Privatissimum
Hans Imhoff
Hans Imhoff
Asozialistik
Dissertation
Abyssos
Logik des Plans
Republik. Blüte
Poiesis
Krönung
Herabstieg
Echo
Geliebte Goethes

Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Kap. 11
Kap. 12
Kap. 13
Kap. 14
Kap. 15
Kap. 16
Kap. 17
Kap. 18
Kap. 19
Kap. 20
Kap. 21
Kap. 22

POIESIS
Verfassungsfragen

 

15

Einige der Größten in der Welt begannen als Guerillaführer, so etwa der Harfist und spätere König der Juden David, oder der Bodenspekulant und Tabakfarmer George Washington, welcher zuerst gegen Indianer und Franzosen kämpfte, später gegen die eigene Regierung in London, indem er mit geringer Truppenmacht zusammen mit dem ehemaligen preußischen General Steuben (und, wie ich höre, mit Waffen, die bei Herrn Pierre Augustin Caron de Beaumarchais gekauft waren, dem Dichter der Hochzeit des Figaro) den wahren Flächenbrand eines hochorganisierten Volkskrieges gegen die Regierungstruppen entfachte. Diese überragende Persönlichkeit der amerikanischen Geschichte vereinte in sich jenes revolutionäre Moment und den Gegenpol einer fast steifen, aristokratisch -puritanischen Finanzbegabung, der es eben noch gelang, die beiden auseinanderstrebenden Parteien der Föderalisten (Bundesstaatler) und Demokraten (Staatenbundler) zu bändigen. Amerika, das heutzutage beinahe das Stichwort für alle Übel einer boshaften, heruntergekommenen Menschenrasse ist, begann mit solchen Männern, unter denen dieses Denkmal eines großartigen revolutionären Generals, genialen Politikers und Organisators und reichen Bürgers, der sein Land stets vor fremden Einßüssen und langfristigen Allianzen warnte, nicht einmal der wunderbarste war. Zur kurzfristigen Zierde der Menschheit haben damals die jungen Vereinigten Staaten noch andere gemacht, zuerst der alle, außer Thomas Paine, überstrahlende Franklin, der feinerweise dadurch weltbekannt wurde, daß er bei seinem Aufenthalt in London (1765/66) als Abgeordneter der Assembly in seinen Eingaben und Protokollen die Besitztitel der vorkommenden Herren pennsylvanischen Grundeigentümer unterschlug, die Franklin in seiner Lebensbeschreibung - man beachte das wohl! - als »angemaßte Titel« bezeichnet; während es Paine ablehnte, England als Mutterland der jungen Staaten gelten zu lassen: Er bezeichnete sie als Zuflucht ganz Europas vor dessen Ungeheuern und Despoten! Dann der ganz andere Hamilton, welcher die Dialektik von Gesetz und Konstitution wie kein anderer beherrschte, wie etwa schon die zusammen mit Jay und Madison verfaßten halbgöttlichen Federalist-Papiere bezeugen; indem die Zersplitterung des Römischen Reiches Deutscher Nation vermieden werden sollte, beschworen sie die Amerikaner, eine starke Bundesregierung anzuerkennen. Aber der Sinn der frühen Amerikaner für Verfassung im Gegensatz zur Legalität war weiter ausgebildet als je in Europa; wie hätten sie sonst den Odor des Landes der Verheißung, der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten, mit welchem sie noch ihren Willkomm 1945 bei uns mehr als wohlfeil erkauft haben, sich verdient? Franklin war es, der durch seinen praktisch-frommen Universalismus einen noch nicht vorgekommenen Menschentypus schuf: Der Geist der Unabhängigkeit war in diesem Aufklärer und Gründer der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft, der Europa auf dem neuen Kontinent ein eigenes, schöneres Gesicht verlieh, recht eigentlich verkörpert; Jefferson, der klassizistische Baumeister der Unabhängigkeit, ist doch zu kleindemokratisch. Symptomatisch ist Franklins Kampf gegen die Familie Penn; denn in den Staaten entwickelte sich neben der Freiheit aus Gewissen auf dem Boden der Verfassung und der Gesetze eine Freiheit des Reichtums, die von Anfang an zu dem gesellschaftlichen Leben in stärksten Gegensatz geriet. Die blanke Freiheit und die blanke Verfügung über die Quellen der Reichtümer in privater Hand führten zu einer Verfassungswirklichkeit, welche - völlig jenseits der in tausend Fesseln gebundenen kultivierten Sittlichkeit Europas - neben dem ungeheuersten Terrorismus entfesselter Kapitale eine sehr feine politische Moral des Gewissens, die ursprünglich dem religiösen Gemeindeleben des irisch-schottisch-angelsächsischen Christentums entstammte, dann in seiner calvinistisch-puritanischen Form die neue Welt begründen half, als zu der bedeutenden Macht emportrieb, welche gegenwärtig fast als einzige in der Welt dem Schwung der marxistisch-leninistischen Wahrheit etwas ungeschickt, doch tapfer standhält. Schon vor der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bildete sich dieses Moment auch schriftstellerisch in Emerson und Thoreau zu jenen bläßlichen mystischen Verrücktheiten aus, zu denen sich der britische Spleen unter dem Einfluß des deutschen transzendentalen Idealismus im Grase der nordamerikanischen Prärie auswuchs, und womit sich die amerikanische Gesellschaft beweist, ihren Dualismus von Innerem, Weltseele, und den Greueln ihres zivilisatorischen Fortschritts nicht in der Freiheit des Absoluten aufzuheben imstande zu sein; wovon das ungebrochene normannisch-feudale Chaos nur die Spiegelung darstellt. Haben die Franken es auf dem Kontinent nicht geleistet, ihrer Sittlichkeit eine praktikable Form zu geben, wo sollte von einem Fränklein zu erwarten sein, daß er seinen Praktikern eine Sittlichkeit schaffe? Nach dem deutschen Königtum, bei welchem die Macht gewählt wurde, haben wir in der amerikanischen Verfassung, die die Macht durch das Gewissen entsühnt wähnte, den zweiten mißglückten Versuch, die Freiheit aus dem schwarzen Schoß der Zeit ans Licht zu heben, zu erblicken. Einen dritten stellte der demokratische Zentralismus dar, mit welchem die Bolschewiki gegenwärtig die Macht zu kontrollieren suchen.